Professionelle Versorgung von Menschen mit Demenz während der Corona Pandemie
Liebe Team´s in Einrichtungen der Altenpflege, liebe Interessierte Leser_innen,
in dieser manchmal sicher schwierigen Zeit ist es für Teams wichtig eine gemeinsame Haltung in der Versorgung von Menschen mit Demenz zu leben und zu diskutieren. Hierzu zeige ich nach einer kurzen Einführung verschiedene wichtige Punkte auf.
Ich bin Dr. rer. medic. Beatrix Döttlinger. Als Pflegewissenschaftlerin bin ich als externe Beratung in Altenpflegeeinrichtungen tätig. Unter anderem bilde ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Konzepten Basale Stimulation® und Kinästhetics aus. In meiner Promotionsarbeit analysierte ich gestisch-kommunikatives Handeln bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz. In der Praxis schule ich Personal von Altenpflegeeinrichtungen und Angehörige darin. Diese Kommunikationsform ist nun in Zeiten von COVID-19 sehr hilfreich.
Mit diesen Zeilen möchte ich zu einigen Punkten einen Einblick geben, was mir in meiner Arbeit (Team- und Personenorientierten Coachings) zur Vorbereitung auf die Pandemie wichtig war und ist. Ich denke, dass viele Einrichtungen der Altenhilfe auch diese Haltung leben.
Vorab möchte ich noch verdeutlichen, dass es nicht um soziale Distanz gehen kann, von der häufig gesprochen wird, sondern wenn möglich körperliche Distanz bei Aufrechterhaltung sozialer Nähe.
Die Worte „wenn möglich“, geben schon einen Hinweis darauf, dass es nicht ausschließlich darum geht vorgegebene Hygienemaßnahmen einzuhalten und diese korrekt umzusetzen. Dies ist bei kognitiv gesunden Menschen meist möglich. Jedoch auch hier sind Automatismen eine große Gefahr sich nicht immer daran zu halten (Beispiele sehen wir häufig im TV). Wie immer geht es auch in dieser Zeit vor allem darum, die Würde der Person mit Demenz zu achten und sie in ihrer Lebensgestaltung zu unterstützen, denn Menschen mit Demenz wollen und müssen die Bewältigung ihrer Erkrankung (Demenz) selbst regulieren. Trotz der COVID-19 Pandemie gilt aus meiner Sicht weiterhin was der Deutsche Ethikrat 2012 formulierte.
„Mit dem Verlust der rechtlichen Einwilligungsfähigkeit verschwinden jedoch nicht alle Fähigkeiten zur Autonomie: Die Fähigkeit zu einer Autonomie des Augenblicks (Schwerdt 2005) bleibt in der Regel erhalten“ (Schwerdt 2007).
Der Deutsche Ethikrat (2012) hebt hervor, dass der hohe Rang der Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft mit der Folge nachwirkt, dass auch die verminderte, auf anschauungsgebundene und erlebnisnahe Inhalte beschränkte Selbstbestimmung als solche gewürdigt wird. Die Befindlichkeits- und Wunschanzeigen sind dann nach erfahrungsgestütztem und fachlichem Ermessen bei der weiteren Begleitung und Betreuung mit zu bedenken (Deutscher-Ethikrat 2012).
Hier ist die große Herausforderung für die Teams in Altenpflegeeinrichtungen die Situationen und das Leben mit den Bewohnern trotz Corona so zu gestalten, dass sie weiterhin ein würdevolles Leben leben können, dass sie weiterhin Freude und soziale Nähe erleben können und zugleich Hygieneregularien eingehalten werden, wenn möglich.
Dies ist die große Herausforderung und Leistung für die Teams in Pflegeeinrichtungen. Hierzu möchte ich einen Ausschnitt an Vorschlägen geben, was in der Phase der COVID-19 Pandemie wichtig ist.
Was ist wichtig:
Das Bewusstsein der Teams immer wieder schärfen
Dabei geht es um verschiedene Bereiche:
Die Versorgung von Menschen mit Demenz
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Im Moment ist es eine Gratwanderung wieviel körperliche Nähe zu Bewohner_innen gebraucht wird. Deshalb muss z.B. von den Pflegenden immer reflektiert werden, ob im Moment Hand an die zu unterstützende Person gelegt werden muss bei einer Handlung oder ob körperlicher Abstand mit verbaler und gestischer Begleitung ausreicht, um eine Handlung zu kommunizieren. Hier können wir durch die Forderung nach körperlicher Distanz (wenn möglich) im Moment viel lernen. Zu gestischer Kommunikation siehe auf meiner Webseite unter Publikationen z.B. Zeitschriftenartikel.
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Der Blickkontakt zu Personen ist, wenn Mundschutz die Mimik verhüllt, von besonderer Bedeutung. Eine Begrüßung braucht nun eine Kombination von Blickkontakt, einem freundlichen verbalen Gruß und einer passenden Begrüßungsgeste, wie z.B. eine kleine Wink-Bewegung. Mit dieser Kombination kann eine Person mit fortgeschrittener Demenz gleich einordnen, dass ich eine wohlmeinende Person bin. Natürlich muss ich auch jeweils sagen wer ich bin.
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Bei Personen die unsicher wirken kann ich mein Gesicht aus geeigneter Distanz vor dem Kontakt zu erkennen geben. Eine Erklärung warum der Mundschutz getragen wird, ist immer wieder wichtig - auch wenn ich denke, die Person kann Worte nicht mehr verstehen. Alleine der Sprachrhythmus, die Zugewandtheit geben der Person mit Demenz ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens mir gegenüber. Auch Menschen mit fortgeschrittener Demenz haben erfahrungsgemäß Verständnis dafür und kein Problem, wenn ich Mundschutz trage. Wichtig ist vor allem das „WIE“ ich die Interaktion gestalte. Ob ich auf die Äußerungen der Person eingehe und sie merkt, wir hören aufeinander. Mundschutz ist in der Praxis und für Bewohner_innen nichts Ungewöhnliches, sie kennen diese Situation aus Zeiten von Grippeerkrankungen usw.
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In der Begleitung von schwerst betroffenen Menschen ändert sich bei der Versorgung außer der Schutzkleidung für Pflegende nichts. Pflegende dürfen sich jetzt nicht davon irritieren lassen, dass wegen COVID-19 kein Körperkontakt stattfinden soll. Menschen, die Ihr Leben nicht eigenaktiv gestalten können, die sich nicht ohne Unterstützung bewegen können, müssen auch weiterhin in ihrer Wahrnehmungssituation körperlich gefördert werden, um keine körperliche und psychische Deprivationssituation zu erleiden. Pflegende brauchen jetzt gerade ein noch größeres Bewusstsein für diese körperlichen Angebote, wie beispielsweise Ausstreichungen, therapeutische Waschungen, Aktualisieren des Körpergefühls vor Positionswechsel oder vor Mobilisation (siehe Basale Stimulation).
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Im Moment fehlen die Angehörigen, die durch Körperkontakt auch soziale Nähe vermitteln. Denn soziale Nähe kann bei schwerst betroffenen Menschen nur über Körperkontakt vermittelt werden. Ein besonderer Aspekt z.B. bei einer Ausstreichung ist dabei für die Bewohner_innen auch die menschliche Zuwendung, die die Personen in diesem Moment erleben. Diese Zuwendung ist sicher ein gewisser Trost in der Zeit in der die Angehörigen nicht kommen können.
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Im Team muss gut reflektiert werden, ob und unter welchen Umständen ein Bewohner oder eine Bewohnerin im Einzelzimmer isoliert werden muss. Hier sind die Empfehlungen des RKI von Bedeutung die individuell vom Team diskutiert werden müssen. Muss eine Person ausnahmsweise in Einzelisolation, dann müssen Angebote des sozialen Kontaktes an den Bedürfnissen der Person orientierte gewährleistet sein. Die Menschenwürde muss hier geachtet werden. Kreatives und immer wieder der gegebenen Situation angepasstes Denken im Team ist hier wichtig.
Das Freizeitverhalten als Mitarbeiter_in in einer Pflegeeinrichtung
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Die Mitarbeiter_innen sind sich klar darüber, dass sie sich privat von Personen, außer denen, die in ihrem Haushalt leben, länger körperlich distanziert verhalten müssen als die Politik dies der Gesellschaft erlaubt.
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Die Mitarbeiter_innen folgen hier schärferen und sich selbst auferlegten Regeln zum Schutz der Bewohner_innen.
Das Verhalten unter den Mitarbeiter_innen während des Dienstes
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Hier muss das Bewusstsein immer wieder geschärft werden den Kolleginnen und Kollegen nicht zu nahe zu kommen (Automatismen erschweren dies), also einen Abstand von 1,5m zu waren. Je länger die Pandemie dauert, desto schwierige wird dies.
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Regeln die hierzu erstellt werden helfen sich gegenseitig zu erinnern. Hier einige Beispiele: In den Pausenraum gehen höchstens zwei Personen mit ausreichend Abstand, ebenso in den Stützpunkt. In den Aufzug gehen nur zwei Personen usw.
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Schwierig ist es für diejenigen Mitarbeiter_innen, die gerne und viel andere umarmen. Sie brauchen besonders Unterstützung, um diesen Automatismus aufzugeben. Hilfreich ist sich Vorzustellen ich selbst oder die andere Person ist mit COVID-19 infiziert. Denn es geht um den Schutz vor dieser Erkrankung.
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Die große Anstrengung in der Pandemiezeit ist es, sich immer wieder hierzu zu reflektieren. Dies sind alles zusätzliche Anstrengungen für die Pflegenden, die im Moment zu ihrer sehr anspruchsvollen Arbeit hinzukommt. Wer dies selbst nicht leisten kann, braucht gute Führungspersonen, die immer wieder daran erinnern, wenn möglich körperliche Distanz zu wahren. Auch im Team, sich gegenseitig daran erinnern Abstand zu halten ist wichtig, denn Sie wissen für wen Sie das alles auf sich nehmen. Im Team regelmäßig darüber sprechen, dass eine gegenseitige Erinnerung erwünscht ist, weil Automatismen allzu schnell greifen. Unsere Haltung, wie wir dazu stehen, wenn mich jemand daran erinnert, Distanz zu halten wo es möglich ist, ist Dankbarkeit. Ein Danke das Du mich daran erinnerst, zeugt von Wertschätzung gegenüber der aufmerksamen Person. Auch über diese Haltung muss regelmäßig reflektiert werden, damit alle Teammitglieder ein solches "darauf Aufmerksam machen" annehmen können.
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Ich denke Sie haben mittlerweile schon Erfahrung darin, dass Sie eine soziale Beziehung auch ohne Körperkontakt leben können. Diese Situation fördert auch unsere Kreativität. Mit meinen Enkelkindern haben wir eine Geste für eine Umarmung (per Videokonferenz) indem wir uns selbst umarmen. Soll die Umarmung besonders innig sein, drücke ich mich besonders fest, sage das auch und setze zugleich eine Wiegebewegung ein. Meine Enkelchen spiegeln das dann sogleich und wir fühlen uns Umarmt. So etwas kann ich mir auch bei verschiedenen anderen Personen in einer Pflegeeinrichtung vorstellen. Auch hier können wir mit Gesten kommunizieren und Freude dabei haben.
Als Team werden Sie sicher in dieser schwierigen Zeit wunderbare Erfahrungen des Zusammenhaltes gemacht haben. Wer von Ihnen bis jetzt noch nicht stolz darauf war in einer Altenpflegeeinrichtung zu arbeiten, wird durch diese Krisensituation erfahren haben, wie bedeutend diese Arbeit für unsere Gesellschaft und für die Personen die Sie betreuen ist. Denn Pflege hat einen Kulturauftrag (Juchli 2011).
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und Kreativität. Dass Sie sich gegenseitig in den Teams stärken um dem hohen Anspruch gerecht zu werden, den Ihre tägliche Arbeit und diese Krise von Ihnen fordert.
Aber vor allem vergessen Sie sich selbst nicht dabei, tun Sie sich täglich etwas Gutes, denn Sie sind eventuell die einzige Person, die sich um Sie kümmert. Denn auch Sie müssen die Bewältigung dieser besonderen Situation für sich selbst regulieren.
Ihre Beatrix Döttlinger
Literatur
Deutscher-Ethikrat. (2012). Demenz und Selbstbestimmung. Berlin: Deutscher Ethikrat.
Juchli, L. (2011): Vorwort. In Döttlinger, B./Meyer, E./ Wust, E. (Hrsg.): In: Begleiten (pp. 9-12). Berlin: Pro BUSINESS GmbH.
Schwerdt, R. (2005): Lernen der Pflege von Menschen mit Demenz bei Alzheimer-Krankheit. Zeitschrift für medizinische Ethik (Schwerpunkt Alzheimer-Demenz), 51, 59-76.
Schwerdt, R. (2007): Autonomie als Grundlegendes Werteprinzip. In Petzold, C./Brucker, U./Reisach, B./Robertz-Grossmann, B./Roser, T./Schade, C./Schreiber, H.-L./Schwerdt, R./Stelzig, A./Tesch-Römer, C./Wallrafen-Dreisow, H./ Wilkening, K. (Hrsg.): Ethik und Recht (Vol. S. 22-32). Bern: Hans Huber Verlag.